Ein Stück aus dem Tollhaus. LABO verweigert dem Fahrdienst der KV die Verlängerung seiner Konzessionen. Im Ergebnis erhalten die Taxifahrer, die nun Bereitschaftsärzte fahren, Mindestlohn oder mehr für die jeweilige Schicht. Wie schön. Eine Begründung des LABO steht aus. Man wird sie erfahren. Wir sind gespannt. Ganz nebenbei blamieren sich die mittlerweile ortskenntnisbefreiten Kutscher in der Öffentlichkeit durch völlige Ahnungslosigkeit. So it goes.
16.6.2023 von Andreas Kopietz -Das Amt verwehrt dem Fahrdienst der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin die Weiterfahrt. Die KV befürchtet Einschränkungen für Patienten.
Die Bereitschaftsärzte der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) haben einen Versorgungsauftrag des Berliner Senats. Doch die Fahrer, die die Ärzte zu den Patienten bringen, arbeiten unter teils prekären Bedingungen – und möglicherweise zeitweilig auch illegal. Zurzeit allerdings arbeiten sie gar nicht. Denn die Bereitschaftsärzte der KV Berlin müssen jetzt mit dem Taxi zu den Patienten fahren.
Dabei stehen in der Tiefgarage der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin 24 neue Elektroautos – gerade erst im vergangenen Monat angeschafft. Doch die weiß-orange lackierten Peugeot e-2008 mit der Aufschrift kvberlin.de und der Telefonnummer 116117 dürfen nicht fahren. Denn das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (Labo) hat mit Bescheid vom 2. Juni eine Verlängerung der Genehmigung für den Einsatz der Autos abgelehnt. Vor dem Hintergrund der ohnehin schon desolaten Notfallversorgung in Berlin rechnet die KV jetzt mit weiteren Einschränkungen für Patienten.
„Momentan können wir nicht abschätzen, wann mit einer Wiederaufnahme unserer Fahrten gerechnet werden kann“, teilte die Firma Stölting, die im Auftrag der KV den Fahrdienst betreibt, ihren Mitarbeitern mit. „Deshalb werden wir Sie als Mitarbeiter erst mal bis einschließlich 15.06.23 in den Urlaub schicken“, heißt es. Hierbei handele es sich zunächst nur um diejenigen, die vom 7. bis 15. Juni laut Dienstplan für Dienste eingeteilt wurden. Weiter heißt es: „Zunächst werden daher alle Fahrten über Taxidienste abgedeckt.“ Seit Donnerstag ist klar, dass der „Urlaub“ bis zum 25. Juni verlängert wird. Und so warten jetzt die Taxis in langen Schlangen vor dem Gebäude der KV Berlin in der Masurenallee in Charlottenburg.
320 Ärzte beteiligen sich am Hausbesuchsdienst der KV Berlin
Der Ärztliche Bereitschaftsdienst für gesetzlich Versicherte ist rund um die Uhr über die Telefonnummer 116117 zu erreichen – vorausgesetzt, man bringt die Geduld auf, in der Warteschleife zu hängen. Im Gespräch kann dann der Beratungsarzt – seit Anfang des Jahres gibt es übrigens nur noch einen statt zwei – klären, ob ein Hausbesuch notwendig ist, oder auch den Rettungsdienst der Feuerwehr alarmieren. Der fahrende ärztliche Hausbesuchsdienst, an dem sich nach Darstellung der KV Berlin rund 320 Ärzte beteiligen, ist für gesetzlich und privat Versicherte rund um die Uhr zu Patienten unterwegs, die wegen der Schwere ihrer Erkrankung keine Praxis aufsuchen können beziehungsweise die nachts, am Wochenende oder an Feiertagen dringend medizinische Hilfe benötigen. Pro Werktag besuchen die Ärzte laut KV durchschnittlich 400 Erkrankte zu Hause, an Wochenenden etwa 700.
Den Fahrdienst hatte über Jahre eine Firma betrieben, die 2020 insolvent gegangen ist. Die in Gelsenkirchen ansässige Stölting Service Group GmbH kaufte den Fahrdienst.
Bislang waren die Fahrer der in Berlin ansässigen Zweigstelle mit den Ärzten in benzinbetriebenen Fahrzeugen unterwegs. Allerdings liefen die ersten für mehrere Jahre gewährten Konzessionen auf die einzelnen Fahrzeuge bereits im November vergangenen Jahres aus.
Labo lehnt Antrag auf Verlängerung der Konzession ab
Mehrere Fahrer (Namen sind der Redaktion bekannt) berichten, dass sie trotz abgelaufener Konzession hätten weiter fahren müssen. Der Berliner Zeitung liegen mehrere Genehmigungsurkunden über fünfjährige Konzessionen vor, die im November 2022 abgelaufen sind. „Jedes Taxiunternehmen wäre geliefert, wenn es ohne Konzession unterwegs wäre“, sagt einer der Beschäftigten. „Und als Taxifahrer läuft man Gefahr, dass man seine Genehmigung zur Personenbeförderung nicht verlängert bekommt.“ Auch ohne Tüv seien viele Fahrzeuge noch in diesem Jahr gefahren. Einige Fahrer seien deshalb auf die Barrikaden gegangen, heißt es. Sie wollten ihren P-Schein nicht verlieren, denn viele fahren nebenbei auch Taxi und sind auf den Verdienst angewiesen.
Wer Personen befördert, ob Krankentransportunternehmer oder Taxibetrieb, darf dies nur mit vom Labo bewilligter Konzession. Diese gilt drei bis fünf Jahre und muss dann erneuert werden. Voraussetzung dafür sind unter anderem ein einwandfreier Leumund und keine Schulden beim Finanzamt oder der Krankenkasse.
Warum das Labo die Konzession für die Firma Stölting nicht verlängerte, bleibt unklar. „Ein Erstkontakt wurde von uns bereits im Januar 2022 zum Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten aufgenommen, um frühzeitig die Verlängerung der Genehmigung vorzubereiten“, teilt Boris Westerfeld, Geschäftsführer der Stölting Service Group, schriftlich mit. „Völlig überraschend ist der von uns gestellte Antrag auf Verlängerung der Konzession vom Labo nach unserer Ansicht unverständlicherweise abgelehnt worden.“
Stölting: „Alle Fahrzeuge verfügen über eine gültige Hauptuntersuchung“
Die Firma Stölting will gegen diesen Bescheid Rechtsmittel einlegen. „Seit rund 25 Jahren leisten wir für die Kassenärztliche Vereinigung in Berlin beanstandungslos, zuverlässig und für die Patienten erfolgreich den Fahrdienst“, so Westerfeld. „Zuvor gab es keine Beanstandungen hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen für den Erhalt und die Fortführung der entsprechenden Konzession. Umstände, dass sich dies geändert hätte, waren diesseits nicht ersichtlich.“ Nach Erhalt des Bescheids habe man – bisher vergeblich – erneut versucht, mit dem Labo in Kontakt zu treten.
Über die Gründe für die Ablehnung, ob diese vielleicht etwas mit den Vorwürfen der Mitarbeiter zu tun haben könnten, ist auch beim Labo nichts in Erfahrung zu bringen. Die Behörde äußert sich bisher nicht. Allerdings ist von überschäumender Zufriedenheit bei den 60 Fahrern nicht viel zu spüren. Sie beziehen Mindestlohn und erhalten nach eigenen Angaben wesentlich niedrigere Nachtzuschläge als andernorts. Neben dem Arbeitsvertrag mussten sie einen Dienstwagen-Überlassungsvertrag unterschreiben. Danach müssen sie für einen Unfallschaden mit 500 Euro haften.
Dass Fahrzeuge ohne Tüv gefahren seien, weist der Geschäftsführer zurück: „Bei unserer Fahrzeugflotte handelt es sich um neuwertige Fahrzeuge, die alle über eine gültige Hauptuntersuchung verfügen“, so Westerfeld.
Firma Stölting: Der Einsatz von Taxis ist mit erheblichen Kosten verbunden
Zum Vorwurf des angeblichen Fahrens ohne Konzessionen sagt er: „Zurzeit überprüfen wir die Vorwürfe aus dem Ablehnungsbescheid des Labo auch hinsichtlich eventueller Fahrten ohne Konzession. Wir können jetzt schon sagen, dass der Großteil der Vorwürfe nicht zutreffend ist.“
Zu Vorwürfen über angebliche Dumpinglöhne antwortet Westerfeld: „Wir vergüten unsere Mitarbeitenden ordnungsgemäß nach dem Stundenlohn, der sich an dem Landesmindestlohngesetz Berlin orientiert, einschließlich der Nachtzuschläge.“
Für jede der drei Schichten pro Tag müssen nun sechs Taxis zur Verfügung stehen. Die Fahrer lassen nach Angaben von Mitarbeitern ihre Taxameter mitlaufen, während die Ärzte in der Wohnung den Patienten versorgen.
Abgerechnet wird bei Stölting. „Wir versuchen so im Interesse der Berliner Bevölkerung die Versorgung sicherzustellen“, so Geschäftsführer Westerfeld. „Richtig ist, dass der Einsatz von Taxiunternehmen mit erheblichen Kosten verbunden ist, sodass eine dauerhafte Durchführung dieser Notlösung nicht garantiert werden kann. Wir können nicht ausschließen, dass es zu Einschränkungen bei der Versorgung kommen kann.“ Weil es vom Labo noch immer nichts Neues gibt, müssen die Fahrer laut Westerfeld auch über den 15. Juni hinaus noch im Urlaub bleiben.
Kassenärztliche Vereinigung Berlin befürchtet Einschränkungen bei Versorgung
Einschränkungen bei der Versorgung befürchtet auch die Kassenärztliche Vereinigung Berlin. „Weshalb der Firma Stölting, die bislang den Fahrdienst zuverlässig für die KV Berlin durchgeführt hat, nunmehr seitens des Labo keine Genehmigung erteilt wird, ist für die KV Berlin nicht nachvollziehbar“, teilt eine Sprecherin auf Anfrage mit. Für die KV Berlin habe es oberste Priorität, den Hausbesuchsdienst auch zukünftig sicherzustellen. „Aufgrund der nicht erteilten Genehmigung sind zukünftige Einschränkungen bei der Versorgung immobiler Patienten allerdings nicht mehr auszuschließen.“
Das scheint jetzt schon der Fall zu sein. Von Ärzten ist zu hören, dass sie pro Schicht bis zu 20 Hausbesuche geschafft hätten, dank geschickter Routenplanung durch die Stammfahrer. Jetzt seien nur noch sechs Besuche drin, unter anderem wegen fehlender Ortskenntnis mancher Taxifahrer. Verbunden seien damit auch finanzielle Einbußen für die Ärzte. Derweil bangen die Fahrer um ihre Arbeitsplätze für den Fall, dass die Konzession ausbleibt.