17.4.2024 von Anja Reich - Hermann Görings Großnichte erzählt im Interview, wie in ihrer Familie NS-Verbrechen verschwiegen wurden. Und sagt, welcher Politiker sie heute an Göring erinnert.
Bettina Göring wartet in der Tür eines Reihenhauses in Berlin-Zehlendorf. Es gehört einer Jugendfreundin, die sie und Görings Mann für ein paar Tage bei sich aufgenommen hat und während des Interviews mit dem Hund spazieren geht, um nicht zu stören.
Die Großnichte des Naziverbrechers Hermann Göring trägt Hose, Bluse, eine blaue Brille, die grauen Haare im Nacken zusammengebunden. Ein in die Jahre gekommenes Hippie-Mädchen, das mit 13 von zu Hause flüchtete, nach Stationen in Südamerika, Indien und den USA in Thailand hängenblieb und nun nach Deutschland gekommen ist, um ihr Buch vorzustellen: „Der gute Onkel: Mein verdammtes deutsches Erbe“.
Wie soll ich Sie ansprechen: Frau Göring, so, wie es auf Ihrem Buch steht? Oder mit dem Namen, der in Ihrer E-Mail-Adresse auftaucht?
Sagen Sie Göring. Als ich das erste Mal heiratete, habe ich meinen Namen geändert, wegen der Familiengeschichte. Aber es funktioniert nicht so richtig, ich werde diese Geschichte nicht los.
Es ist die Ihres Großonkels Hermann Göring, dem mächtigsten Nazi nach Adolf Hitler. Wie wäre es, wenn er hier säße, an diesem Tisch?
Ich würde ihn fragen, ob er irgendwas bereut. Aber ich würde nicht erwarten, dass er es tut. Er hat ja auch bei den Nürnberger Prozessen gesagt, dass er nichts bereut.
Und als Familienmensch, wie war er da? Ihr Buch trägt den Titel „Der gute Onkel“.
Zu seiner Familie war er sehr nett. Meine Großmutter wurde von ihm nicht nur beschützt, sondern auch finanziell unterstützt. Er soll freundlich und charismatisch gewesen sein, weshalb er auch als Diplomat eingesetzt wurde. Kann man sich gar nicht vorstellen, wenn man sich seine Reden anhört – fürchterlich, wie er geschrien hat, die haben ja alle so geschrien.
Privat hat er das nicht getan?
Wir haben mal ein Video von einer Ostereiersuche mit der Familie gesehen. Da hat er mit großer Geste den lässigen, freundlichen Onkel gespielt. Jovial ist das Wort, das ihn als Familienmenschen wohl am besten beschreibt.
Wo haben Sie die Aufnahme her?
Auf YouTube gefunden, keine Ahnung, wer die darauf gestellt hat.
Sie wurden 1956 geboren, zehn Jahre, nachdem Ihr Großonkel in Nürnberg zum Tode verurteilt wurde und sich mit einer Zyankali-Kapsel selbst getötet hat. Wann haben Sie zum ersten Mal gespürt, dass es da etwas Unheimliches gibt in Ihrer Familie?
Ich war elf, wir wohnten in Wiesbaden, hatten gerade einen Fernseher bekommen, sahen eine Dokumentation über Auschwitz. Meine Oma war dabei, die Schwester von Hermann, Großmutti Ilse, wie alle sie nannten. Sie schrie: Alles Lüge, alles Lüge! Mein Bruder hat ihr einen Holzschuh an den Kopf geworfen.
Bettina Göring ließ sich mit 30 sterilisieren.
Bettina Göring ließ sich mit 30 sterilisieren.Benjamin Pritzkuleit
War Ihnen da schon klar, dass Ihr Großonkel den Massenmord an den Juden befohlen hatte?
Nein, 1968, mit zwölf, habe ich mich der Hippieszene angeschlossen, später der linken, sehr linken Szene, bin von zu Hause geflohen. In dieser Zeit habe ich angefangen, Bücher über die NS-Geschichte zu lesen. Die meisten waren aus der DDR.
Bettina Göring: „Mein Geschichtslehrer war selbst Nazi gewesen“
Aus der DDR? Was haben Sie denn in Ihrer Wiesbadener Schule über den Faschismus gelernt?
Nichts, mein Geschichtslehrer war selber Nazi gewesen. Und in der Familie erzählte man sich immer nur, dass Onkel Hermann Flieger war, der Herr der Flieger, wie es hieß, dass man zu ihm aufschaute, sonst nichts. Bis 2005 wusste ich nicht einmal, dass er die Endlösung der Judenfrage unterschrieben hatte.
Wie haben Sie das rausgefunden?
Eine Australierin, Tochter von Holocaust-Überlebenden, warf es mir an den Kopf. Für den Dokumentarfilm „Bloodlines“ waren Angehörige von Opfern und Tätern zusammengebracht worden. Ich habe dann gleich noch mal angefangen, Geschichtsbücher zu lesen.
Das hatte in den Büchern, die Sie kannten, nicht gestanden?
Nein, es war auch kompliziert. Die Nazis haben den Mord an den Juden ja nicht so konkret befohlen. Reinhard Heydrich hatte das Dokument, in dem von der Endlösung die Rede war, 1941 vorgelegt und Hermann Göring hat es unterschrieben.
Wie ging es Ihnen, als Sie das hörten?
Es war furchtbar, schockierend.
Sie sind ins Ausland gegangen, haben sich sterilisieren lassen, wollten keine Kinder bekommen. Hatten Sie Angst, das Böse könnte sich vererben?
Dass ich mich sterilisieren ließ, hatte nicht direkt mit dem Göring-Onkel zu tun, das war eher ein praktischer Gedanke. Ich habe die Pille nicht gut vertragen und hatte mit 30 immer noch kein Bedürfnis, Mutter zu werden. Aber im Unterbewusstsein gab es sicher eine Ablehnung. Es muss ja auch einen Grund haben, warum gerade unsere Generation, die in den 50ern geboren wurde, so wenig Kinder bekommen hat, die folgende aber wieder mehr.
NS-Kriegsverbrecher Hermann Göring beim Prozess in Nürnberg
NS-Kriegsverbrecher Hermann Göring beim Prozess in NürnbergYevgeny Khaldei/Imago
Jüdische Holocaust-Überlebende Ihrer Generation bekamen dagegen sehr viele Kinder.
Ja, Israelis, die ich kennenlernte, konnten gar nicht verstehen, dass ich keine Kinder wollte. Eine hatte zehn, als Ausgleich dafür, dass ihre Familie ausgelöscht wurde.
Was haben Sie sonst an Ihrem Leben geändert, nachdem Sie von der Rolle Ihres Großonkels im Holocaust erfahren haben?
Ich habe zusammen mit einer Tochter von Holocaust-Überlebenden eine Therapiegruppe gegründet, verschiedene Methoden zur Verarbeitung der Traumata angewendet. Einmal bin ich sogar in die Psyche meines Onkels gegangen.
„Ich habe gefühlt, wie es in ihm aussah: dunkel, kalt, halbtot“
Bei einer Art Familienaufstellung?
Ja, ich habe gefühlt, wie es in ihm aussah und es war sehr dunkel, kalt, halbtot. Als ob bei mir alles abstirbt, so fühlte es sich an. Erschreckend. Er muss ein Psychopath gewesen sein. Das ist das Schizophrene: wie er so kalt und doch für seine Familie menschlich bleiben konnte.
Haben Sie herausgefunden, wie er so geworden ist, was ihn in seinem Leben geprägt hat?
Ja, wir haben viel herausgefunden. Sein Vater kam aus einer reichen, angesehenen Familie, war von Bismarck als Diplomat in Ostafrika eingesetzt, gründete die deutsche Kolonie im heutigen Namibia, später war er in Haiti, reiste hin und her, ewig lange Schiffsreisen. Hermanns Mutter reiste mit, auch wenn sie gerade ein Kind geboren hatte. Den Hermann ließ sie bei einer Freundin zurück. Als er sie wiedersah, mit drei Jahren, sah er seine Mutter nicht mehr an. Hinzu kam, dass die Mutter eine Affäre mit Herman von Epenstein hatte, einem Halbjuden. Möglicherweise wurde mein Großonkel nach ihm benannt. Und er wurde seinetwegen auf der Schule gehänselt, als Judenfreund. Er musste sogar so ein Schild um den Hals tragen.
Bettina Göring , Großnichte von Hermann Göring
Bettina Göring , Großnichte von Hermann GöringBenjamin Pritzkuleit
„Göring war immer der Größte, aber Hitler war war noch größer“
Wann war das?
1905, vor dem Ersten Weltkrieg. Der Hermann war als Schüler sehr rebellisch, schwer zu händeln, bis er in die Militärakademie kam. Die Strenge dort tat ihm gut. Was auch wichtig ist: Die Familie wollte, dass ein Held geboren wird, so steht es in den Tagebüchern, ein Held, der Deutschland rettet und so ein Scheiß. Er hat sich in dieser Rolle gesehen.
Wie hat er Hitler kennengelernt?
Im Ersten Weltkrieg war er Flieger. Nachdem die Luftwaffe verboten worden war und er nicht mehr fliegen konnte, wollte er eine Revolution, das System umstoßen, ist auf die Hitler-Gruppe gestoßen und sofort auf Hitler mit seiner magnetischen Persönlichkeit angesprungen. Göring war immer der Größte, aber der Führer war noch größer. Und Hitler hat erkannt, dass Göring die Sprache der Oberen spricht, sich in dieser Klasse gut auskennt.
Hermann Göring war morphiumsüchtig. Wie kam es dazu?
Beim Bierputsch 1923 bekam er eine Kugel ab, musste fliehen, wurde in Schweden in der Psychiatrie behandelt, in dieser Zeit begann er, Morphium zu nehmen.
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Die schwedischen Ärzte beschrieben ihn als „brutalen Hysteriker mit sehr schwachem Charakter“.
Ja, er war verrückt und auf Drogen, wie die meisten Nazis. Pervitin, Kokain, Morphium. Die Drogen passen zu seinem Größenwahn. Erst in amerikanischer Haft machte er einen Entzug.
Gab es im Leben von Hermann Göring einen Moment, wo er zweifelte, an sich und seinen Taten?
Als er einmal drin war in dieser Maschinerie, war das nicht mehr möglich. Für ihn zählten nur Macht, Reichtum, Ämter und Titel ohne Ende.
Waggons voll enteigneter Kunst nach Hause liefern lassen
Gibt es einen heute lebenden Politiker, der Sie an Ihren Großonkel erinnert?
Ja, Trump. Diese Gier. Diese unglaubliche Raffgier. Was der Göring-Onkel für Schätze angehäuft hat. Von den Juden. Aus Holland hat er sich ganze Waggons voll mit Kunst und Möbeln bringen lassen. Meine Oma hat auch einen Waggon bekommen.
Das heißt, bei Ihnen zu Hause gab es auch noch Möbelstücke von enteigneten Juden?
Ja, zwei, drei Stück. Ganz tolle Sachen. Als unsere Oma zu uns zog, fielen sie schon ein bisschen auseinander. Ein Sekretär aus Ebenholz mit 150 Handfiguren und Schubfächern. Das andere war ein flämischer Sternenschrank.
Wo sind die Möbel heute?
Mein Vater hat sie verkauft, beglich seine Schulden damit. Wir hatten zum Glück nichts mehr damit zu tun nach seinem Tod. Fotos und Ritterorden waren noch da. Wollte ich auch nichts mitzutun haben.
Haben Sie Antisemitismus in Ihrer Familie wahrgenommen?
Von meiner Mutti gar nicht. Mein Großvater mütterlicherseits war gegen die Nazis, hat für einen jüdischen Anwalt gearbeitet, der ihm geholfen hat mit der Anzahlung für sein Haus.
Wusste Ihre Mutter, als sie Ihren Vater geheiratet hat, aus was für einer Familie er kommt?
Ja, das ist ja das Verrückte. Obwohl diese Mutter-Familie gegen die Nazis war, hat es viel bedeutet, mit einem Göring verheiratet zu sein. Wegen der Klasse. Reiche Familie. Viele wichtige Ämter. Der Urgroßvater Ministerialrat, auch Bürgermeister gab es.
War Ihnen da schon klar, dass Ihr Großonkel den Massenmord an den Juden befohlen hatte?
Nein, 1968, mit zwölf, habe ich mich der Hippieszene angeschlossen, später der linken, sehr linken Szene, bin von zu Hause geflohen. In dieser Zeit habe ich angefangen, Bücher über die NS-Geschichte zu lesen. Die meisten waren aus der DDR.
Aus der DDR? Was haben Sie denn in Ihrer Wiesbadener Schule über den Faschismus gelernt?
Nichts, mein Geschichtslehrer war selber Nazi gewesen. Und in der Familie erzählte man sich immer nur, dass Onkel Hermann Flieger war, der Herr der Flieger, wie es hieß, dass man zu ihm aufschaute, sonst nichts. Bis 2005 wusste ich nicht einmal, dass er die Endlösung der Judenfrage unterschrieben hatte.
Wie haben Sie das rausgefunden?
Eine Australierin, Tochter von Holocaust-Überlebenden, warf es mir an den Kopf. Für den Dokumentarfilm „Bloodlines“ waren Angehörige von Opfern und Tätern zusammengebracht worden. Ich habe dann gleich noch mal angefangen, Geschichtsbücher zu lesen.
Das hatte in den Büchern, die Sie kannten, nicht gestanden?
Nein, es war auch kompliziert. Die Nazis haben den Mord an den Juden ja nicht so konkret befohlen. Reinhard Heydrich hatte das Dokument, in dem von der Endlösung die Rede war, 1941 vorgelegt und Hermann Göring hat es unterschrieben.
Wie ging es Ihnen, als Sie das hörten?
Es war furchtbar, schockierend.
Sie sind ins Ausland gegangen, haben sich sterilisieren lassen, wollten keine Kinder bekommen. Hatten Sie Angst, das Böse könnte sich vererben?
Dass ich mich sterilisieren ließ, hatte nicht direkt mit dem Göring-Onkel zu tun, das war eher ein praktischer Gedanke. Ich habe die Pille nicht gut vertragen und hatte mit 30 immer noch kein Bedürfnis, Mutter zu werden. Aber im Unterbewusstsein gab es sicher eine Ablehnung. Es muss ja auch einen Grund haben, warum gerade unsere Generation, die in den 50ern geboren wurde, so wenig Kinder bekommen hat, die folgende aber wieder mehr.
Jüdische Holocaust-Überlebende Ihrer Generation bekamen dagegen sehr viele Kinder.
Ja, Israelis, die ich kennenlernte, konnten gar nicht verstehen, dass ich keine Kinder wollte. Eine hatte zehn, als Ausgleich dafür, dass ihre Familie ausgelöscht wurde.
Was haben Sie sonst an Ihrem Leben geändert, nachdem Sie von der Rolle Ihres Großonkels im Holocaust erfahren haben?
Ich habe zusammen mit einer Tochter von Holocaust-Überlebenden eine Therapiegruppe gegründet, verschiedene Methoden zur Verarbeitung der Traumata angewendet. Einmal bin ich sogar in die Psyche meines Onkels gegangen.
„Ich habe gefühlt, wie es in ihm aussah: dunkel, kalt, halbtot“
Bei einer Art Familienaufstellung?
Ja, ich habe gefühlt, wie es in ihm aussah und es war sehr dunkel, kalt, halbtot. Als ob bei mir alles abstirbt, so fühlte es sich an. Erschreckend. Er muss ein Psychopath gewesen sein. Das ist das Schizophrene: wie er so kalt und doch für seine Familie menschlich bleiben konnte.
Haben Sie herausgefunden, wie er so geworden ist, was ihn in seinem Leben geprägt hat?
Ja, wir haben viel herausgefunden. Sein Vater kam aus einer reichen, angesehenen Familie, war von Bismarck als Diplomat in Ostafrika eingesetzt, gründete die deutsche Kolonie im heutigen Namibia, später war er in Haiti, reiste hin und her, ewig lange Schiffsreisen. Hermanns Mutter reiste mit, auch wenn sie gerade ein Kind geboren hatte. Den Hermann ließ sie bei einer Freundin zurück. Als er sie wiedersah, mit drei Jahren, sah er seine Mutter nicht mehr an. Hinzu kam, dass die Mutter eine Affäre mit Herman von Epenstein hatte, einem Halbjuden. Möglicherweise wurde mein Großonkel nach ihm benannt. Und er wurde seinetwegen auf der Schule gehänselt, als Judenfreund. Er musste sogar so ein Schild um den Hals tragen.
Wann war das?
1905, vor dem Ersten Weltkrieg. Der Hermann war als Schüler sehr rebellisch, schwer zu händeln, bis er in die Militärakademie kam. Die Strenge dort tat ihm gut. Was auch wichtig ist: Die Familie wollte, dass ein Held geboren wird, so steht es in den Tagebüchern, ein Held, der Deutschland rettet und so ein Scheiß. Er hat sich in dieser Rolle gesehen.
Wie hat er Hitler kennengelernt?
Im Ersten Weltkrieg war er Flieger. Nachdem die Luftwaffe verboten worden war und er nicht mehr fliegen konnte, wollte er eine Revolution, das System umstoßen, ist auf die Hitler-Gruppe gestoßen und sofort auf Hitler mit seiner magnetischen Persönlichkeit angesprungen. Göring war immer der Größte, aber der Führer war noch größer. Und Hitler hat erkannt, dass Göring die Sprache der Oberen spricht, sich in dieser Klasse gut auskennt.
Hermann Göring war morphiumsüchtig. Wie kam es dazu?
Beim Bierputsch 1923 bekam er eine Kugel ab, musste fliehen, wurde in Schweden in der Psychiatrie behandelt, in dieser Zeit begann er, Morphium zu nehmen.
Die schwedischen Ärzte beschrieben ihn als „brutalen Hysteriker mit sehr schwachem Charakter“.
Ja, er war verrückt und auf Drogen, wie die meisten Nazis. Pervitin, Kokain, Morphium. Die Drogen passen zu seinem Größenwahn. Erst in amerikanischer Haft machte er einen Entzug.
Gab es im Leben von Hermann Göring einen Moment, wo er zweifelte, an sich und seinen Taten?
Als er einmal drin war in dieser Maschinerie, war das nicht mehr möglich. Für ihn zählten nur Macht, Reichtum, Ämter und Titel ohne Ende.
Waggons voll enteigneter Kunst nach Hause liefern lassen
Gibt es einen heute lebenden Politiker, der Sie an Ihren Großonkel erinnert?
Ja, Trump. Diese Gier. Diese unglaubliche Raffgier. Was der Göring-Onkel für Schätze angehäuft hat. Von den Juden. Aus Holland hat er sich ganze Waggons voll mit Kunst und Möbeln bringen lassen. Meine Oma hat auch einen Waggon bekommen.
Das heißt, bei Ihnen zu Hause gab es auch noch Möbelstücke von enteigneten Juden?
Ja, zwei, drei Stück. Ganz tolle Sachen. Als unsere Oma zu uns zog, fielen sie schon ein bisschen auseinander. Ein Sekretär aus Ebenholz mit 150 Handfiguren und Schubfächern. Das andere war ein flämischer Sternenschrank.
Wo sind die Möbel heute?
Mein Vater hat sie verkauft, beglich seine Schulden damit. Wir hatten zum Glück nichts mehr damit zu tun nach seinem Tod. Fotos und Ritterorden waren noch da. Wollte ich auch nichts mitzutun haben.
Haben Sie Antisemitismus in Ihrer Familie wahrgenommen?
Von meiner Mutti gar nicht. Mein Großvater mütterlicherseits war gegen die Nazis, hat für einen jüdischen Anwalt gearbeitet, der ihm geholfen hat mit der Anzahlung für sein Haus.
Wusste Ihre Mutter, als sie Ihren Vater geheiratet hat, aus was für einer Familie er kommt?
Ja, das ist ja das Verrückte. Obwohl diese Mutter-Familie gegen die Nazis war, hat es viel bedeutet, mit einem Göring verheiratet zu sein. Wegen der Klasse. Reiche Familie. Viele wichtige Ämter. Der Urgroßvater Ministerialrat, auch Bürgermeister gab es.
Sind Sie auch noch so erzogen worden, mit diesem Dünkel, etwas Besseres zu sein?
Mein Bruder und ich haben sehr dagegen rebelliert, aber ich glaube, so ein bisschen ist er auch bei uns drin.
Ist bei Ihren Begegnungen mit Angehörigen von Opfern mal jemand wütend geworden Ihnen gegenüber?
In Israel sind Leute weinend zu mir gekommen, haben sich bedankt. Weil es bis dahin nie vorgekommen war, dass jemand sich bei ihnen entschuldigt hat. Aber eine Frau in meinem Alter konnte eine Entschuldigung von der Göring-Seite nicht akzeptieren. Sie hat ständig dazwischengerufen und musste vom israelischen Sicherheitspersonal rausgeführt werden.
Und wie waren die Begegnungen mit Angehörigen anderer Nazi-Größen?
Ich wurde mit Niklas Frank, Rainer Höss, Katrin Himmler und noch zwei anderen verlinkt. Aber persönlich getroffen habe ich nur Rainer Höss. Er wollte mich unbedingt kennenlernen, ist extra nach Wiesbaden gekommen und dann sind wir Kaffee trinken gegangen.
Sie und der Enkel des Auschwitz-Kommandanten?
Er hat die ganze Zeit geprahlt, wie viele jüdische Leute er kennt, mit welchem Ministerpräsidenten er per Du ist. Später wurde er als Hochstapler enttarnt. Er ist auch der Einzige, der seine Geschichte an die Israelis verkauft hat, der Geld wollte. Mir wäre das zuwider gewesen.
Aber mit Ihrem Buch jetzt verdienen Sie Geld, oder?
Ja, das hoffe ich zumindest. Da stecken zehn Jahre Arbeit drin. Die österreichische Journalistin Melissa Müller hat einen wesentlichen Anteil daran, sie hat die historischen Fakten zusammengetragen und wirklich viel herausgefunden, was ich noch nicht wusste.
Was zum Beispiel?
Dass meine Familie einen Deal mit einer jüdischen Familie gemacht hat, Galeristen, sehr vermögend. Sie wurden enteignet, konnten aber nach Südamerika gehen. Die Galerien und Gemälde wurden gegen eine Viehzucht in Venezuela, die einem Teil der Göring-Familie gehörte und nicht viel wert war, getauscht. Die Großmutti, meine Oma, ist zum Hermann gegangen, hat gesagt, die wollen raus. Der gute Onkel hat den Deal gemacht.
Warum haben Sie so lange an dem Buch gearbeitet?
Es war schwierig zu schreiben, aber auch zu verkaufen. Zu brisant, zu gefährlich, nicht gut genug geschrieben, hieß es. Eine Münchner Agentin, mit der wir uns getroffen haben, ist überhaupt nicht auf das Thema angesprungen. Der Droemer-Verlag hat dann gesagt, wir machen das.
Wie ist es für Sie, es jetzt in Deutschland vorzustellen?
Das Timing ist gut für meine Botschaft: Nie wieder.
Sehen Sie Parallelen zu heute?
Die Weimarer Zeit war viel schlimmer. Wir reisen ja viel herum und stellen immer wieder fest, wie gut es den Deutschen geht. Fahren Sie mal nach Thailand oder in arme Gegenden der USA! Aber die Verunsicherung ist ähnlich, die Leute wittern überall Lügen. Lügenpresse, den Begriff haben schon die Nazis verwendet. Zu sagen, alles, was wir nicht mögen, ist gleich eine Lüge. Sie lesen keine Zeitung mehr, sondern suchen in den sozialen Medien nach Positionen, die ihren ähnlich sind. Das hat oft etwas religiös Fanatisches. Die AfD nutzt das für sich aus.
Also ist die Vergangenheit nicht vorbei für Sie?
Die ist nie vorbei.
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Bettina Göring wurde 1956 in Wiesbaden geboren. Ihre Oma väterlicherseits war die Schwester von Hermann Göring, der 1941 den Befehl zum Völkermord an den europäischen Juden gab. Bettina Göring floh mit 13 aus dem Elternhaus, lebte in Südamerika, den USA und Thailand, arbeitet als Heilpraktikerin. Ihre Familiengeschichte arbeitete sie in Dokumentationen und Begegnungen mit jüdischen Überlebenden auf. Ihr Buch „Der gute Onkel: Mein verdammtes deutsches Erbe“ ist im Droemer-Verlag erschienen.