Lohnt sich die Reise zum Theaterbesuch nach Sofia ?

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  • Thomas Bernhards „Holzfällen. Eine Erregung“: Lohnt sich die Reise zum Theaterbesuch nach Sofia?
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    17.3.2024 von Rumen Milkow - Unser Autor hat sich Thomas Bernhards „Holzfällen. Eine Erregung“ in Sofia angesehen. Das Ein-Mann-Theaterstück hat einen ganz eigenen Charakter.

    Seit eineinhalb Jahren ist Thomas Bernhards „Holzfällen. Eine Erregung“ einmal im Monat in der „Toplocentrala“ („Heizungszentrale“), einem „Zentrum für zeitgenössische Kunst“, in Sofia auf der Bühne zu sehen. Im Oktober vergangenen Jahres habe ich mir das Ein-Mann-Theaterstück angesehen.

    Ein Monat zuvor ließ man mich, weil ich versehentlich zehn Minuten zu spät war, nicht hinein, was mich sehr erregte, immerhin hatte ich eine Eintrittskarte. Vor allem erregte es mich, weil ich mich, was Pünktlichkeit angeht, auf dem Balkan und nicht in Berlin wähnte. Was dahintersteckte, dass man es in einem bulgarischen Theater mit der Zeit so genau nahm, blieb vorerst ein Geheimnis.

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    Anfang Februar erschien im Rolling Stone der Artikel „Die 10 letzten Geheimnisse des Thomas Bernhard“, der mit folgendem Satz beginnt: „Am 12. Februar 1989, drei Tage nach seinem 58. Geburtstag, starb der Übertreibungskünstler und Geschichtenzerstörer, Weltdichter, Skandalautor, Fabulier-und Beschimpfungsvirtuose Thomas Bernhard im oberösterreichischen Gmunden.“

    Zu den vom Rolling Stone gelüfteten Geheimnissen Bernhards gehörte sowohl Unbekanntes, beispielsweise dass Bernhard Prince gehört haben soll, aber auch allseits Bekanntes, und zwar, dass der Autor alte Bauernhäuser in Österreich sammelte.

    Weitgehend bekannt ist weiterhin, was Bernhard in „Meine Preise“ beschreibt, nämlich dass er mit seinem ersten Auto bis ins frühere Jugoslawien fuhr und dort verunfallte. Dass die dortigen Toiletten besser seien als die in Wien, wie Bernhard in „Alte Meister“ feststellte, dürften dagegen nur wenige wissen. Gänzlich unbekannt dagegen ist, dass es seine Bücher bis ins Nachbarland Bulgarien geschafft haben.
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    Der in Sofia ansässige Verlag Atlantis KL, dessen eigentliches Geschäft Lehrbücher zum Erlernen der deutschen Sprache sind, gibt diese sieben Werke Bernhards auf Bulgarisch heraus: „Frost“, „Beton“, „Meine Preise“, „Das Kalkwerk“, „Der Untergeher“, „Auslöschung“ und „Holzfällen“. Genau heißt das 1984 erschienene Werk „Holzfällen. Eine Erregung“ und wurde bei seiner Veröffentlichung sogleich verboten, weil sich frühere Freunde Bernhards in ihm wiedererkannten. Die Klage wurde kurze Zeit später zurückgezogen, und das Buch durfte erscheinen.

    In einem Interview sagte Bernhard damals, dass es sich bei „Holzfällen. Eine Erregung“ um ein entscheidendes Stück seines Lebens handelt. Zum Schreiben angeregt habe ihn die Erinnerung, obwohl diese bereits 30 Jahre zurücklag. Es treten Menschen auf, die, wenn man sie sieht, einen wahnsinnig machen. Führt man sie ein in ein Buch, ergebe dies eine Erregung. Und er sei noch erregt, wenn er schreibt. Erregung ist ein angenehmer Zustand, es bringt das lahme Blut in Gang, lässt es pulsieren, macht es lebendig und macht dann Bücher. Ohne Erregung ist gar nichts, erklärte der Autor im Interview zusammenfassend.

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    Alles schön und gut, sagte ich mir. Immerhin habe ich „Holzfällen. Eine Erregung“ nicht nur gelesen, sondern das Buch auch für gut und wichtig befunden. Aber wie will ein einzelner Schauspieler, der dazu die ganze Zeit in einem Ohrensessel sitzt und über die Gesellschaft eines „künstlerischen Abendessens“, zu dem er eingeladen wurde, lästert, diese Erregung über zwei Stunden halten? Beim besten Willen: Ich konnte es mir nicht vorstellen.

    „Holzfällen. Eine Erregung“ wurde schon mehrfach auf die Bühne gebracht, beispielsweise als szenische Lesung. Konzipiert für das Schauspiel Leipzig gastierte diese auch im „Kleinen Theater“ im Berliner Südwestkorso. Wurde dort noch zu zweit gelesen, schaffte es Claus Peymann, enger Weggefährte des österreichischen Schriftstellers und Dramatikers, am Berliner Renaissance-Theater auch ganz alleine. In der Eigenwerbung für „Holzfällen. Eine Erregung“ heißt es: „Er liest und ‚spielt‘ Thomas Bernhard.“ Die Lesung Peymanns wurde als „eine böse Satire auf den Wiener Kulturbetrieb, der sich ja nur unwesentlich vom Berliner Kulturbetrieb unterscheidet“, angekündigt.

    Lesung des Stücks „Holzfällen“ durch Claus Peymann, einen Weggefährten Bernhards.

    Lesung des Stücks „Holzfällen“ durch Claus Peymann, einen Weggefährten Bernhards.Rudi Gigler/imago

    Um herauszufinden, wie sich „Holzfällen. Eine Erregung“ als Ein-Personen-Stück anhört und vor allem anfühlt, begab ich mich ein zweites Mal in die zwei Stunden entfernte bulgarische Hauptstadt. Obwohl neugierig und auch aufgeregt, war ich diesmal pünktlich. Meine Eintrittskarte von der vorherigen Vorstellung wurde akzeptiert, sodass ich nicht erneut Eintritt zahlen musste.

    Das Stück war ausverkauft, was bei knapp 60 Sitzplätzen nicht so schwierig zu bewerkstelligen ist. Zu meiner Überraschung musste ich feststellen, dass die meisten Zuschauer den Autor nicht kannten. Sie waren gekommen, weil die Beschreibung des Stückes sie neugierig gemacht hatte. Eine Zuschauerin sollte nach dem Stück sagen, es sei „überraschend“ und „aufregend“ gewesen, und das in einem guten Sinne.

    Die zwei Stunden (die Flugdauer von Berlin nach Sofia) vergingen nicht nur wie im Flug, sondern wie in einem Rausch. Diesen Rausch zu beschreiben, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Vielleicht so viel: Obwohl ich in der ersten Reihe saß und der Schauspieler Javor Kostov-Jondin, der während des Stücks immerhin eine ganze Flasche Sekt austrank, sich immer mehr erregte, wurde ich weder von ihm bespuckt noch mit Mehl oder ähnlichem beworfen, wie dies an einigen Berliner Bühnen viele Jahre üblich war und zum Teil immer noch ist. Niemand ist in diesen zwei Stunden aus seinem Stuhl aufgestanden, um den Saal zu verlassen, lediglich Kostov-Jondin aus seinem Ohrensessel. Einzig im Ohrensessel sitzend, so wie im Buch, kann sich – außer Bernhard – niemand erregen. Nicht einmal ein Bulgare.

    Nach der Vorstellung dauerte es einen Moment, bis der Beifall einsetzte. So fasziniert, regelrecht hypnotisiert, war das Publikum. Obwohl Kostov-Jondin gerade zwei Stunden alleine auf der Bühne gestanden und alles gegeben hatte, bot er sozusagen eine Zugabe an. Er wollte sich nur kurz frisch machen, wozu er fünf Minuten brauchte, und dann Fragen seines Publikums beantworten. Als er wiederkam, in Jeans, war er ein völlig anderer Mensch. Ich hätte ihn nicht wiedererkannt, genauso ging es den meisten der 15 verbliebenen Zuschauer, immerhin ein Viertel des Gesamtpublikums.

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    Kein Spektakel

    Unter ihnen nun auch jemand, der wusste, dass Bernhard seine Texte komponiert hat. Kostov-Jondin sagte, dass es das Schwierigste sei, „den Text in den Körper zu bekommen“. Auch wenn das Stück wegen des einen Schauspielers auf Bulgarisch „Monospektakel“ heißt, hat es mit einem Spektakel nichts zu tun. Es ist auch keine Improvisation, auch wenn jede Aufführung zeitlich etwas variiere. Die Vorstellung an diesem Abend war knapp zehn Minuten länger gewesen als die vorige, was daran lag, dass er heute langsamer gesprochen hat, erklärte der Schauspieler.

    Kostov-Jondin wiederholte das, was er zuvor auf der Bühne zum Ausdruck gebracht hatte. Es geht in dem Text um etwas sehr, sehr Ernstes. Es geht um nichts Geringeres, als dass die Kunst tot sei. Diesen Satz hatte er im Stück zweimal und als einzigen auf Deutsch gesagt: „Die Kunst ist eigentlich tot“. Dem möchte ich hinzufügen, was Karin Kathrein beim Erscheinen des Buches in Die Presse schrieb: „Was Thomas Bernhard hier schreibt, ist eine große Auseinandersetzung mit menschlichen Beziehungen, mit Verstrickungen, Liebe, Ausbeutung, Verrat, Haß.“

    Der Schauspieler Javor Kostov-Jondin, der gleichzeitig Regisseur ist, wird von der ebenfalls anwesenden Regisseurin Elena Dimitrova beraten, die sich selbst aber nicht als Regisseurin sieht, sondern als Beraterin. Ein Rat von ihr war, dass der Schauspieler, nachdem er die Hälfte des Stücks nur zu sich selbst gesprochen hatte, sich dem Publikum öffnet und damit eine fast intime Beziehung zu ihm herstellt. Kostov-Jondin hat auch wie bereits erwähnt nicht nur im Ohrensessel gesessen, für den das Stück bekannt ist, sondern war immer wieder aufgestanden, um zwischen vier oder fünf Standorten auf der Bühne zu wechseln.

    Schauspiel und Regisseur Kostov-Jondin, der sich gemeinsam mit seiner Beraterin, die eigentlich die Regisseurin ist, fast eine Stunde Zeit für sein Publikum nahm, meinte abschließend, dass es so einige Bernhard-Fans in Bulgarien geben würde. Es sei immerhin die 14. Vorstellung, die praktisch ausverkauft war. Bei der Premiere im Jahr zuvor, zu der extra Stühle aufgestellt wurden, waren 100 Zuschauer gekommen. Wie viele Bernhard-Fans es genau in Bulgarien gibt, diese Frage konnte auch er nicht beantworten. Er kenne nicht jeden einzelnen persönlich.

    Thomas Bernhard mit seinem „Lebensmenschen“ Hedwig Stavianicek vor dem Krucka genannten Landhaus.

    Thomas Bernhard mit seinem „Lebensmenschen“ Hedwig Stavianicek vor dem Krucka genannten Landhaus.Fotoarchiv der Thomas Bernhard Nachlassverwaltung

    Valentin Kalinov (32), Philosoph, Psychologe und Juniorprofessor an der Universität Plovdiv, ist nicht einfach nur ein Bernhard-Fan, sondern ein Bernhard-Kenner. Kalinov hatte bereits ein Jahr vor mir Gelegenheit, „diese wunderbar ekstatisch-komische Aufführung“ zu sehen. Aber nicht nur das, er hat darüber auch eine Rezension geschrieben. In der heißt es: „Es ist ein absolutes, verzehrendes Theater: Es kann nur in Form eines Monotheaters existieren, insofern die innere Unkommunizierbarkeit das ist, was alle Existenz zu ihrer Wahrheit verdammt.“

    Kalinov, der mehr als nur die fünf ins Bulgarische übersetzten Bücher von Bernhard kennt, ist begeistert von der Kühnheit seiner Sprache: „Vieles von dem, was ich im Element Sprache (im altgriechischen Sinne: als Wasser, Luft, Feuer, Erde, vereint in Bewegung) erfahren habe, vieles von dem, was ich über Sprache als Element gelernt habe, habe ich von Bernhard gelernt. Ich kann mir meinen Kopf ohne Bernhard nicht vorstellen, ich kann mir keine Kopfschmerzen ohne Bernhard vorstellen: Die Kopfschmerzen der Sprache sind der Sinn meines Lebens.“

    Dem ist nichts hinzuzufügen. Außer vielleicht der Hinweis auf die nächste Vorstellung von „Holzfällen. Eine Erregung“ am 9. April in der „Toplocentrala“ in Sofia. Auch die Toiletten sind vorzüglich dort. Ich bin mir sicher, Bernhard wäre zufrieden mit ihnen. Der Eintritt kostet 15 Lewa, also 7,50 Euro. Die Vorstellung beginnt um 19 Uhr. Unbedingt pünktlich sein!

    Meine Erregung, dass ich ein zweites Mal nach Sofia kommen musste, ist mittlerweile verflogen. Nun habe ich verstanden, warum ich beim ersten Mal nicht mehr hineingelassen wurde. Ich hätte nach Eintritt unmittelbar auf der Bühne gestanden, und da ist bereits der Schauspieler, der sich in Rage redet und das Publikum in einen Rausch spielt.

    Rumen Milkow arbeitet als freier Autor und Journalist.