„Jeder einzelne von uns ist zur Wachsamkeit aufgerufen“

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  • Werner Herzog im Interview: „Jeder einzelne von uns ist zur Wachsamkeit aufgerufen“
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    9.3.2024 von Michael Maier - Der Regisseur Werner Herzog warnt vor Manipulationen und Potemkinschen Dörfern. Misstrauen sei angebracht, auch gegenüber der eigenen Regierung.

    Wir erreichen den Regisseur Werner Herzog via Videokonferenz in seinem Haus in Los Angeles. Er ist konzentriert und gibt geduldig Antworten – auch auf die Frage aller Fragen: Was ist Wahrheit? Der Filmemacher, der in seinem Leben immer an die Grenzen ging, will wissen: Wo werden wir manipuliert, wo erliegen wir Illusionen?

    In einer Welt von virtueller Realität und künstlicher Intelligenz rät er zu Misstrauen gegenüber allen Geschichten, die uns von Politik und Medien aufgetischt werden. Schon die Sammler in der Frühzeit hätten gewusst, welche Beeren und Pilze giftig sind. Werner Herzog glaubt an die Klugheit des Menschen. Doch wenn der Mensch nicht aufhört, Kriege zu führen und die Natur zu zerstören, werde die Menschheit verschwinden, so wie einst die Dinosaurier.

    Herr Herzog, Sie haben soeben ein Buch vorgelegt mit dem Titel „Die Zukunft der Wahrheit“. Warum haben Sie das Buch geschrieben?Das Buch ist eine Art Quersumme aus meiner Arbeit, wo ich im Kino immer mit der Frage konfrontiert war: Was ist Wahrheit, was ist Erfindung, wie können wir uns auf die Suche nach Wahrheit machen? Das war eine lebenslange Beschäftigung in meinem Metier, dem Film, gewesen.

    Nach der Lektüre des Buches muss man zu dem Fazit kommen: Es gibt „die Wahrheit“ nicht.

    Es hat jüngst eine Umfrage unter zweitausend Philosophen gegeben. Kein einziger kann Ihnen sagen, was Wahrheit ist. Es gibt seit der Antike, seit darüber nachgedacht wird, keine vollkommene Einsicht. Das Merkwürdige ist: Wir scheinen es in uns zu haben, dass wir uns auf die Suche nach der Wahrheit machen. Das tue ich in meiner Arbeit, seitdem ich Filme mache.

    Die Suche nach der Wahrheit auf der individuellen Ebene ist das eine. Es gibt aber auch im Gesellschaftlichen den Zwang, alle anderen von der eigenen Wahrheit überzeugen zu wollen, mitunter ganz stark, sodass alle glauben müssen, das ist jetzt wahr. Wo ist die Grenze zwischen der existenziellen Wahrheitssuche und der politischen Indoktrination?

    Das sind zwei völlig verschiedene Dinge. Was mich beschäftigt, ist eine Suche, das Sich-auf-den-Weg-machen, auszuloten, wo könnte das sein. Wir scheinen ja in uns eine Ahnung zu haben, in welcher Richtung vage die Wahrheit liegt. Selbst wenn wir sie nicht genau benennen können: Es geht um das Suchen, dass wir nie aufhören. Der letzte Satz in meinem Buch heißt: Die Wahrheit hat keine Zukunft, aber Wahrheit hat auch keine Vergangenheit. Wir wollen, wir können, wir werden, wir dürfen die Suche danach aber nicht aufgeben.

    Aber gibt es so etwas wie eine allgemein gültige Wahrheit?

    Nein, nein, die gibt es nicht! Es gibt diese Wahrheit nur im bestimmten sozialen Kontext: Wenn Sie einer religiösen Sekte angehören, dann ist dort Wahrheit definiert. Es ist dann eine Glaubensfrage. Und wenn Sie im Politischen genauer hinsehen, dann sehen Sie: Alles, was im Politischen an Berichterstattung vor sich geht, folgt einem bestimmten Narrativ. Und in der Regel hat das Narrativ auch mit Propaganda zu tun. Deswegen rate ich dringend, wenn es um wichtige politische Sachen geht: Schauen Sie auf der Stelle parallele Quellen an.

    Das wird allerdings immer schwieriger: Es gibt unter den Wahrheitsverkäufern, also den Journalisten, immer mehr den Drang zu sagen: Hier ist die Orthodoxie, und alles, was davon abweicht, ist die Propaganda des Feindes. In Ihrem Buch ist sehr interessant, dass Sie ja mit den Mächtigen beginnen und deren Illusionen, die diese erzeugen wollen. Sie schreiben ja nicht über die verirrten Internetseelen, sondern über die Fake News der Mächtigen – wie etwa Kaiser Nero.

    Ich berichte mit Inbrunst über die letzte Nacht Neros, mit allen Details. Wir wissen heute ja viel darüber. Es hat falsche Neros gegeben nach dem Selbstmord, und das ist interessant im heutigen Kontext. Das Bewusstsein des „Selbst“ hat sich heute sehr stark verändert. Sie können heute im Internet einen Pornofilm mit Taylor Swift finden, der digital gefälscht ist. Ihr Gesicht wird auf den Körper einer Pornodarstellerin aufgepfropft. Sie können eine Rede von Donald Trump anhören, die vollkommen gefälscht ist. Das Bewusstsein von „Selbst“ ist heute sehr viel gefährdeter, als es früher war.

    Führt das zwangsläufig ins Totalitäre?

    Nicht unbedingt. Es kann auch zwangsläufig in massenhafte Selbstdarstellung auf YouTube und Facebook hinwirken. Heute sehen wir, wie Menschen sich weltweit selbst darstellen. Es sind fast immer beschönigte, frisierte, getürkte Selbstdarstellungen. Da ist im Grunde nichts verkehrt dabei. Es gehört zu uns, dass wir uns schönmachen, dass wir zum Friseur gehen, dass wir uns schminken.

    Interessant wird es natürlich, wenn das Schminken im politischen Bereich stattfindet. Sie bringen im Buch das schöne Beispiel mit den Potemkinschen Dörfern. Neigen wir im Politischen dazu, solche Dörfer aufzubauen, oder Gesslerhüte, die wir dann alle grüßen müssen?

    Die Potemkinschen Dörfer sind nur eine große Metapher für etwas, was ununterbrochen in den Medien geschieht.

    Wie kann man diese Dörfer enttarnen oder ihren Bau verhindern?

    Wachsamkeit. Jeder einzelne von uns ist zur Wachsamkeit aufgerufen. Heute sind unsere Instrumente sehr viel einfacher geworden. Wir können heute im Internet schnell vieles herausfinden durch divergierende Meinungen, durch Medien anderer Länder. Natürlich müssen Sie davon ausgehen, dass auch Medien wie zum Beispiel Al Jazeera sehr stark verzerrte Bilder in die Öffentlichkeit stellen. Aber wenn Sie wachsam sind und sich im Internet andere Beschreibungen holen, dann pendelt sich das rasch ein. Das heißt: Misstrauen, Misstrauen allen gegenüber, viel mehr als früher.

    Auch der eigenen Regierung?

    Allen, ohne Ausnahme. Misstrauen gegenüber allen, auch den Medien, Mainstream oder nicht. Jede E-Mail, die Sie bekommen, wenn Sie von der Bank die Aufforderung erhalten, 14,99 Euro zu überweisen, sonst wird Ihr Konto gesperrt. Jeder Annäherungsversuch von Pädophilen im Netz ist im Grunde erkennbar, wenn Sie wachsam bleiben.

    Es gibt bei den Medien einen enormen Konformitätsdruck, alle wollen dasselbe schreiben. Was kann man dagegen machen?

    Das ist nicht mein Problem, das ist Ihr Problem als Journalist. Es ist schön, wenn es Journalisten gibt, die sich nicht einem Anpassungszwang ergeben wollen.

    Es ist schon auch Ihr Problem, weil Sie als Medienkonsument ja dann die oft gleichlautenden Berichte bekommen.

    Es gehört zu meinem Alltagsgebrauch, dass ich hinterfrage. Bei wirklich wichtigen Sachen schaue ich ganz schnell in parallele Narrative. Das geht ganz einfach.

    Und Sie verspüren nicht manchmal so eine innere Selbstzensur, wo Sie sagen, na, das sind aber jetzt „die Bösen“?

    Nein, ich sage nur immer: Vorsicht, Vorsicht, Vorsicht. Man hat mir gesagt, wenn Sie aber niemandem mehr trauen, dann müssen Sie die Welt ja hassen! Das stimmt nicht, ich liebe die Welt und die Intensität, in ihr zu leben. Aber gleichzeitig sehe ich das wie früher die Sammler und Jäger in der Vorgeschichte. Die haben Pilze gesammelt und gegessen, und bei denen ist automatisch ein Reflex eingetreten, dass sie, durch Erfahrung klug geworden, keine giftigen Pilze oder Beeren gegessen haben. Das Misstrauen war zweite Natur, und ich bin mir sicher, dass frühgeschichtliche Menschen die Natur nicht gehasst haben. Ganz im Gegenteil. Und wir müssen auch unsere Welt nicht hassen, wenn wir grundsätzlich misstrauisch sind. Ich hatte neulich einen Zwölfjährigen bei mir im Haus, und der deutet auf eine E-Mail und sagte: Nein, nicht beantworten. Es war ein Versuch, an Informationen über mein Bankkonto heranzukommen. Das sehen die automatisch, es gibt inzwischen eine gewisse Leichtigkeit, damit umzugehen.

    Glauben Sie, dass das auch im Politischen so ist, dass die Jugendlichen sehen: Nicht alles, was mir Google so vor die Füße spielt, ist faktisch richtig?

    Es sind bei den Jungen genauso viele Esel, die im Internet herumirren, wie bei anderen Generationen, bei den älteren.

    Man kann die Esel politisch steuern: Neulich haben Sie in einem Interview vor der Gefahr der Dämonisierung gewarnt. Kommt dieses Stilmittel aktuell wieder stärker zur Anwendung?

    Das ist ein Instrument der Narrative. Es führt sehr, sehr oft zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Ich sorge mich darüber, wie wir jetzt zum Beispiel China mehr und mehr ins Narrativ der Dämonen schieben. Das ist sicherlich nicht gut.

    Sie sind unglaublich viel in der Welt herumgekommen, haben unzählige Länder sinnlich erfahren. Wenn Sie aus der Vogelperspektive draufschauen: Werden wir irgendwann diesen Reflex der Dämonisierung aufgeben, das gegenseitige Umbringen überwinden und uns sagen: Wir sind als Menschheit besser dran, wenn wir die Vielfalt bestehen lassen, statt uns dauernd zu bekriegen?

    Die Geschichte zeigt uns, dass es sehr schwierig ist, bestimmten Zwängen zu entgehen. Kein mit Vernunft begabter oder mit Gefühlen ausgestatteter einzelner Mensch will je einen Krieg haben. Und trotzdem haben die Kriege nie aufgehört. Wir sollten sehr darauf achten, was vermeidbar ist. Sind bestimmte bewaffnete Auseinandersetzungen vielleicht vermeidbar gewesen? In den vergangenen Jahrzehnten gab es vieles, was vermeidbar gewesen wäre.

    Sie behandeln in Ihrem Buch auch die Themen Künstliche Intelligenz und Virtuelle Welten (VR). Ist es heute nicht viel leichter zu töten, weil der Schütze weit weg am Joystick sitzt und jemanden per Computer und Drohne umbringt, irgendwo in einer Hochzeitsgesellschaft im Jemen, und gar keinen Bezug zu seiner Gewalttat mehr hat?

    Das ist eine furchtbare Seite der Digitalisierung der Kriegsführung. Sehen Sie: Sie reden mit jemandem, der im Krieg geboren ist. Ich bin jemand, der ausgebombt war, der fliehen musste. Ich bin jemand, der Hunger hatte, der die Ruinen gesehen hat. Es ist schrecklich, dass Krieg sich jetzt entmenschlicht, dass Krieg mit Joystick führbar wird. Vieles, was passiert, passiert übrigens nicht weit von Los Angeles entfernt. In der Mojave-Wüste gibt es eine Kommandozentrale. Da sitzen intelligente junge Soldaten, und wie in einem Videogame machen sie irgendwo in einer Wüste ein Fahrzeug aus, und jagen es mit einer ferngelenkten Drohne in die Luft.

    Anders als bei Vietnam gibt es dagegen wenig zivilgesellschaftlichen Protest.

    Vietnam war eine andere Zeit. Es war der erste Krieg, der von Journalisten, die mit am Boden waren, direkt dokumentiert wurde. Die Journalisten waren mit in den Schützengräben, im Dschungel. Heute sind die Journalisten „embedded“, also eingebettet in einen Truppenverband und natürlich auch eingebettet in deren Narrativ. Wirklich unabhängige Journalisten, die für sich allein unterwegs sind, gibt es heute kaum noch. Es gab sie in großer Zahl zur Zeit des Vietnamkriegs.

    Welche Rolle spielt das Kino bei den Kriegen? Auch Hollywood ist doch embedded.

    Das Mainstream-Kino bedient nur kollektive Träume der Welt. Wenn Sie auf den Philippinen ins Kino gehen, sehen Sie einen amerikanischen Actionfilm. Wenn Sie in Uruguay ins Kino gehen, sehen Sie einen Super-Hero-Film oder einen Fantasyfilm. Hollywood bedient sehr gut die kollektiven Träume großer Mehrheiten auf der Welt.

    Den großen Antikriegsfilm gibt es allerdings kaum noch.

    Das stimmt, da ist kaum noch etwas da. Meine Frau ist visuelle Künstlerin, sie hat eine VR über das atomare Ende gemacht, eine Vision vom Ende der Welt. Auch in der New York Times war von einem Künstler etwas über das atomare Ende. Ich frage mich: Sind es auf einmal die Künstler, die vorwegschauen und denken und warnen? Es ist nicht verschwunden, ich sehe es in meinem eigenen Haus.

    Damit die Leute in den Krieg ziehen, wird die Wahrheit in der Regel immer weiter ausgesetzt – es beginnt bei der Illusion, dann kommt die Propaganda und schließlich die Lüge. Wie kann man die politische Lüge unterbinden?

    Ich würde nicht gleich von Lüge sprechen. Es gibt eine Verzerrung der Wahrheit durch Weglassen. Als Papst Benedikt im Bundestag gesprochen hat, haben einige Grüne und Linke den Saal verlassen. Ich fand das damals ungeheuerlich. Seine Rede ist dann in vielen Medien niedergemacht und gehässig kommentiert worden. Über das Internet können Sie ganz schnell die volle Rede sehen. Die war sehr tief und ungewöhnlich. Auch was Benedikt in Auschwitz gesagt hat, das war unerhört. In zweitausend Jahren hat kein Papst so unerhörte Sachen gesagt wie Benedikt. Dreimal hintereinander fragt er: Wo war Gott, als das alles passiert ist. Aber es gibt auch aktuell die Verzerrung der Wahrheit durch Weglassen. Nehmen Sie die Gaza-Berichterstattung: Vieles, was dort geschieht, findet nicht den Weg in die Nachrichten. Es wird einfach ausgelassen.

    Aber die Massenvernichtungswaffen oder die grünen Männchen waren glatte Lügen. Was soll man da machen?

    Nehmen Sie mich nicht als Weltenrichter. Wir können hier immer nur versuchen, durch andere Quellen die Lügen der einen Seite als Lügen zu entlarven.

    Sie haben auch Michail Gorbatschow interviewt und sich mit Russland beschäftigt. War er das Opfer einer großen Illusion?

    Wichtig an meinem Gespräch mit Gorbatschow war, dass er auf die Versäumnisse hingewiesen hat zwischen Ost und West – so viele große Versäumnisse. So viel wäre verhinderbar gewesen. Vielleicht war er zu wenig misstrauisch. Er hat ja einseitig 400.000 Soldaten aus Polen abgezogen und 5000 Panzer und hat schriftlich keine Gegenleistung verlangt. Er war im Glauben, dass dieser Akt selbst schon eine so große Geste des Kompromisses und der Friedensbereitschaft ist. Das ist aber nicht anerkannt worden. Das nächste, was passiert ist, ist, dass Nato-Truppen in Polen vorgerückt sind. Die Versäumnisse, die er beschreibt und beklagt, die haben noch heute eine sehr starke Resonanz in mir.

    Fühlen Sie sich noch als Deutscher?

    Ja natürlich.

    Man weiß ja nie, und da Sie jetzt schon so lange in Los Angeles leben ...

    Meine Staatsbürgerschaft werde ich nie aufgeben, und meinen Akzent, bayerisch gefärbt, auch nicht.

    Das ist ja wieder etwas anderes, Deutschland und Bayern.

    (lacht) Lassen Sie uns bitte darauf jetzt nicht eingehen, da gibt es Unterschiede, ja.

    Ich frage, weil Deutschland die Wahrheitssuche immer betrieben hat, und die Aufklärung. Ist die deutsche Kultur heute noch ein Faktor im Diskurs der Welt? Die Chinesen übersetzen immerhin den ganzen Goethe.

    Deutschland hat wichtige Beiträge für die Kultur der Welt geliefert. Gleichzeitig darf man nicht vergessen, dass dasselbe Land in vollkommene Barbarei hinübergewechselt ist. China hat nicht nur Goethe übersetzt. Die haben auch ungeheures Interesse an intellektuellen Strömungen in der Geschichte. Es gibt Altphilologen in China, die außerordentlich tiefschürfende Arbeit machen.

    Hat der deutsche Idealismus auch in den USA noch einen Platz?

    Amerika ist mit sich selbst beschäftigt, das war immer so. Die werden sich auch nicht tief in französische Kultur hineindenken. Amerika ist noch ein in der Pubertät befindlicher Rohling.

    In Ihrem Film „Fitzcarraldo“ zeigen Sie, dass Naturerfahrung körperlich ist. Sie haben selbst dem Tod mehrfach ins Auge geschaut. Glauben Sie, dass die reale Welt stärker ist als die virtuelle, als alle Illusionen, denen wir uns hingeben?

    Ich glaube ja. Wir müssen vorsichtig sein, dass wir nicht ein Leben nur aus zweiter Hand führen, dass wir ein Leben aus dem Internet leben, statt in der Realität zu sein. Ich finde es nach wie vor gut, dass man Kinder ein Loch im Boden im Garten graben und ein Baumhaus bauen lässt. Und ich finde es nach wie vor gut, dass jemand, der Filme machen will, mal ein paar tausend Kilometer zu Fuß geht. Diese direkte Berührung mit der Wirklichkeit gibt uns tiefere Einsichten. Die Welt öffnet sich dem, der zu Fuß unterwegs ist. Ich sage das zu jungen Filmleuten, aber ich rede da zu tauben Ohren. Und ich sage jungen Filmleuten auch: Lest, lest, lest, lest, lest! Das fördert kritisches Denken, weil es größere Narrative verstehbar macht, weil es einen Sinn für Poesie schafft, weil es Sinn für Sprache schafft. Das sind ganz altmodische Sachen, die hochaktuell geblieben sind.

    Wird die wirkliche Welt die virtuelle überleben?

    Die wird parallel überleben, aber sie ist sehr verwundbar. Wenn Sie heute Sonnenprotuberanzen haben, dann gibt es einen elektrischen Sturm auf der Welt, dann sind plötzlich alle Satelliten ausgeschaltet und Sie haben kein Internet mehr und keinen Strom und keine Wasserversorgung. Es ist nichts mehr da. Es ist gut, dass wir die Welt auch mit den Füßen und mit den Händen erfahren, und nicht nur virtuell.

    Die Natur holt sich ihr Recht zurück?

    Das tut sie, ohne dass sie sich je gekümmert hätte, was die Menschen so treiben. Wir sind biologisch verwundbar, und wir haben es offensichtlich in uns, selbstdestruktiv zu sein. Das wird Konsequenzen haben, die uns verschwinden werden lassen, wie die Dinosaurier verschwunden sind.

    Sie sind also eher pessimistisch?

    Nein, wir können es verändern. Aber wir müssen klug sein.

    #cinéma #philosophie #it_has_begun