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Agent d’ingérence étrangère : Alle die mit uns auf Kaperfahrt fahren, müssen Männer mit Bärten sein. Jan und Hein und Klaas und Pit, die haben Bärte, die haben Bärte. Jan und Hein und Klaas und Pit, die haben Bärte, die fahren mit.

  • Gedenktafel für ermordete Deserteure
    http://blog.klausenerplatz-kiez.de/archive/2015/04/25/gedenktafel_fuer_ermordete_des

    „Hier wurde in den letzten Tagen des April 1945
    ein 17-Jähriger von Nationalsozialisten erhängt.

    Zur Erinnerung an ihn und alle anderen,
    die sich der Teilnahme am Krieg verweigerten
    und deshalb ermordet wurden.“

    Am Freitag, 24. April 2015, wurde die Gedenktafel für einen Ende April 1945 ermordeten 17jährigen Deserteur in Wilmersdorf an der Kreuzung von Berliner Straße und Uhlandstraße enthüllt. Etwa 200 Bürgerinnen und Bürger waren zu der kleinen Feier gekommen.

    Hier im Kiezer Weblog haben wir fortlaufend über den langwierigen Weg von der Idee bis zur Realisierung berichtet: ein Jahr Verschleppung durch die Gedenktafelkommission (GTK), Geheimhaltung ihrer Bedenken und Beratungen vor der Öffentlichkeit einschließlich dem Initiator. Es folgten aber auch öffentliche Unterstützungserklärungen von verschiedenen Organisationen und Gremien: der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz, VVN, GEW, ev. Auen-Gemeinde, dem Kinder- und Jugendparlament und der Seniorenvertretung Charlottenburg-Wilmersdorf, sowie über 600 Unterschriften von Privatpersonen unter einen Brief an die GTK. Weitere Dokumente, Berichte von Zeitzeugen und Deserteuren, Zeitungsberichte wurden im Blog veröffentlicht.

    Der äußerst beharrliche Initiator der Gedenktafel, Dr. Michael Roeder, wies in seiner Einführung auf den schwierigen Weg hin und dankte allen Unterstützern aus Zivilgesellschaft und Politik sowie den, auch bei der Enthüllung zahlreich anwesenden, Pressevertretern.

    Die Gedenktafel selbst wurde komplett aus Spenden zahlreicher Privatpersonen und von mehreren Organisationen finanziert und mit Unterstützung des Aktiven Museums verwirklicht.

    Bezirksbürgermeister Reinhard Naumann sprach für das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf. Es sprach ebenfalls eine Altersgenossin des damals 17jährigen ermordeten Jungen. Sehr bewegend waren die Worte einer jungen Schülerin aus Wilmersdorf, die heute im Alter des getöteten Jugendlichen ist: „Ein Appell an uns alle, gegen den Strom zu schwimmen und Mut zu fassen, wenn wir es für wichtig und richtig halten.“ Die Hauptrede zur Enthüllung hielt der Historiker Prof. Dr. Wolfgang Benz. Die junge Cellistin Elia Cohen-Weissert begleitete die Enthüllung musikalisch.

    Reden zur Enthüllung der Gedenktafel

    Bezirksbürgermeister Reinhard Naumann wies auf die lange Zeit hin, die es gedauert hatte, bis durch den Bundestag im Mai 2002 „endlich auch der Deserteure Rechnung getragen wurde, eine überfällige politische Entscheidung“. Weiter hob er hervor, daß „diese Gedenktafel, die wir hier heute gemeinsam enthüllen, einen besonderen Platz in der Reihe der Gedenkorte und Gedenktafeln in Charlottenburg-Wilmersdorf einnehmen“ wird. Und - anspielend auf die eindreiviertel Jahre vom Antrag bis zur Enthüllung - dankte er dem Initiator „für Ihre Geduld, die mitunter strapaziert war“.

    Laura von Wimmersperg wies auf die Notwendigkeit dieser Gedenktafel hin, „um immer wieder aufmerksam zu machen, was passiert ist in der Zeit und wie wir acht geben müssen, daß so etwas nicht wieder passiert“. Aber es ist nicht genug; notwendig ist auch, „daß wir weitergeben, was wir wissen, daß wir unsere Jugendlichen und die Menschen, die uns anvertraut sind, erziehen zu Menschlichkeit, aber auch zu Widerständigkeit, zu Mut, damit man solchen Situationen widersteht. Wenn erst einmal ein Krieg oder eine gefährliche Situation vorhanden ist, ist es sehr schwer, zu widerstehen.“

    Ihre Gedanken gingen auch zu dem 17jährigen, der im April 1945 hier erhängt wurde: „Er hat sein Leben noch gar nicht gelebt. Es war sicher auch so eine schöne Frühlingszeit. Ich war damals zehn Jahre alt. Ich kann mich an diesen Frühling erinnern.“

    Überzeugung – Todesangst

    Was brachte den 17-jährigen Jungen zum Desertieren? War es die Angst vor dem Tod, der seinem zu kurzen Leben ein Ende gesetzt hätte? Diese allzu natürliche, instinktive Angst. Diese Furcht, diese Belastung, die kaum jemand und erst recht nicht ein Junge von 17 Jahren erträgt? War es Überzeugung? Die Überzeugung, dass der gesamte Krieg und dieses Regime ein Unrecht ist?
    Wir können es nicht sagen. Aber, egal wie unterschiedlich die Beweggründe auch gewesen sein mögen, sie verbindet eine Sache: Mut.

    Der Mut, sich gegen Unrechtstaten im Krieg aufzulehnen. Der Mut, gegen das Regime und die Ideologie des „totalen Krieges“ Widerstand zu leisten. Der Mut, sich dagegen zu wehren, Mitmenschen zu töten, egal welcher Nation.

    Somit steht diese Gedenktafel für alle Deserteure. Eine solche Entscheidung mit 17 Jahren treffen zu müssen, ist aus meiner Perspektive nahezu unvorstellbar, gerade da ich im selben Alter bin. Umso mehr finde ich also diese Gedenktafel wichtig. Sie schließt nicht nur mit dem Klischee des „fahnenflüchtigen Feiglings“ ab, sondern sie zeigt auch die Grausamkeit, die Brutalität und die Rohheit des Systems.

    „Ich war zu feige für Deutschland zu kämpfen.“
    Schockierend, fast schon wieder lächerlich wirkt diese Beschuldigung im Zuge der Ereignisse in Berlin 1945. Der Krieg war verloren - Erwachsene, Jugendliche und Kinder, alle wurden sie als Kanonenfutter in den letzten Monaten missbraucht. Doch alle diese Gräueltaten wurden als Unrecht erkannt. Dem gehängten Jugendlichen wurden zu seinem Gedenken bis in die 50er Jahre an seinem Todestag Blumen niedergelegt. So wird aus dieser Gedenktafel auch eine Tafel der Hoffnung und des Appells. Eine Hoffnung auf Frieden, sodass keiner mehr die Waffen erhebt. Ein Appell an uns alle, gegen den Strom zu schwimmen und Mut zu fassen, wenn wir es für wichtig und richtig halten.

    Jade Karoui
    (Schülerin am Goethe-Gymnasium)

    Warum unterstützt die AG Frieden der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft die Initiative Michael Roeders, eine Gedenktafel für einen Deserteur aufzustellen, der hier 1945 in den letzten Apriltagen von der SS erhängt worden ist? Er war ein 17-Jähriger, noch ein Jugendlicher, heute würden wir sagen : ein Kindersoldat.

    Als LehrerInnen und GewerkschafterInnen sind wir hier, um diesen Jugendlichen und alle anderen zu verstehen, die sich weigerten an diesem von Deutschland begonnenen verbrecherischen Krieg teilzunehmen und deswegen ihr Leben verloren haben. Wir wollen auch an die erinnern, die gläubig oder ängstlich ihr Leben diesem verbrecherischen Staat geopfert haben.

    Zwei persönliche Bemerkungen:
    Ich war kein Kriegsdienstverweigerer, ich musste nicht zur Bundeswehr , weil mein Vater im Russlandfeldzug vermisst war, so hieß es. Die 2. Bemerkung: Als ehemaliger Tempelhofer Lehrer treffe ich ab und zu Schülerinnen und Schüler, jetzt 30/40 Jahre alt. In einem kleinen Gespräch stellen sich dann Erinnerungen ein: an ihre Schulzeit - als Kinder, als Jugendliche und an mich als Lehrer. Glücklicherweise konnten diese Kinder und Jugendlichen in einem demokratischen Staat aufwachsen. Was haben diese Jugendlichen und ihnen nachfolgende Schülergenerationen über die Gräueltaten in dieser Stadt - was haben sie von Opfern und Tätern gehört, was haben sie verstanden??

    Erst in den 70er Jahren hat die AG Frieden der GEW in den Schulen angefangen , die Tabuisierung der Geschichte der Jahre 1933 bis 1945 aufzubrechen. Ihre Denk- und Handlungsleitlinien waren und sind:
    1. alles so einzurichten, dass Auschwitz sich nicht wiederhole,
    2. das Gebot des Grundgesetzes ernst zu nehmen, dass die BRD als Demokratie in Frieden mit den anderen Völkern lebe Lehrerinnen und Schülerinnen beginnen die nationalsozialistische Diktatur zu thematisieren, zu verstehen.

    In langwierigen Verhandlungen setzt die AG Frieden im Abgeordnetenhaus durch, dass Zeitzeuginnen des Widerstandes gegen die faschistische Diktatur in die Schulen eingeladen werden, dass Gedenkorte des Widerstandes und Vernichtungslager besucht und thematisiert werden können. Gerade hier - an diesem neuen Gedenkort - möchte ich nochmal darauf verweisen, dass die Bedeutung der Gedenkorte wächst, weil die Zeitzeugen immer weniger werden.

    Zum Schluss noch zu einer aktuellen Aktivität der AG Frieden: Wir versuchen, die zunehmenden Werbeversuche der Bundeswehr aus den Schulen heraus zu halten. Dagegen wollen wir die Jugendlichen in die Lage versetzen, kritisch die Karriereangebote der Bundeswehr lesen zu können. Ebenso wollen wir die Jugendlichen befähigen, die sich heftig verändernde Rolle der Bundeswehr befragen zu können. Die sich verändernde Rolle von einer Landesverteidigungsarmee (so lautet der Grundgesetzauftrag) zu einer schnellen Eingreiftruppe auf allen Kontinenten in einem „gerechten“ Krieg gegen Terroristen - für Menschenrechte - so sprechen Minister, so sagt es der Bundespräsident.

    Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
    Eugen Tröndlin
    (für die AG Frieden der GEW Berlin)

    Werte Anwesende!

    Als gebürtiger Charlottenburger habe ich verschiedene Gedenkveranstaltungen in diesem Stadtbezirk stets mit Aufmerksamkeit und Sympathie verfolgt und oft auch persönlich daran Anteil genommen. Das betraf vor allem
    – die Enthüllung des Reliefs für Benno Ohnesorg neben der Deutschen Oper sowie des Namenszuges von Rudi Dutschke auf dem Kurfürstendamm 1990 und später
    – die Enthüllung der Gedenktafel für die Opfer des Nazi-Terrors im Bereich der Zillestraße im April 2011 – insbesondere aber
    – die Eröffnung des Denkzeichenweges für die am Murellenberg ermordeten Wehrmachts-Deserteure am 8. Mai 2002, die zugleich ein wichtiges Signal für die deutsche Öffentlichkeit gewesen ist.

    Heute geht es wiederum um einen Deserteur, der als 17-Jähriger noch im April 1945 hingerichtet worden ist. Für ihn gab es damals keine Möglichkeit, sich diesem grausamen Exzess zu entziehen. Nur wenige Tage vor Kriegsende wurde er ein Opfer der unmenschlichen Kriegspsychose der Nazis.

    Für mich aber ergab sich eine solche Möglichkeit: Ebenfalls als 17-Jähriger gehörte ich ein Jahr zuvor der 278. Infanterie-Division an, die zu der in Mittelitalien operierenden 10. Armee gehörte. Diese hatte bereits im vorangegangenen Quartal 896 Soldaten durch Fahnenflucht verloren, darunter 410 nachweislich als Überläufer. Deshalb drohte ihr Oberbefehlshaber, Generaloberst von Vietinghoff, unmittelbar vor unserem bevorstehenden Fronteinsatz jedem Deserteur mit der Todesstrafe sowie mit Repressalien gegenüber seinen Familienangehörigen. So waren wir nochmals gewarnt und zur Durchhaltedisziplin aufgefordert.

    Ich gehörte zu jenen, die es trotz aller Risiken wagten. Und es war dabei auch viel Glück im Spiel, dass es überhaupt ohne Zwischenfälle gelang und – wie ich erst Jahre später erfuhr – dass auch meiner Familie Repressalien erspart blieben. Andere ehemalige Angehörige meiner Einheit, die ich dann im Kriegsgefangenenlager wiedertraf, waren zu der Erkenntnis gekommen, dass dieser Krieg nicht mehr zu gewinnen war und dass die dafür Verantwortlichen nicht den Mut aufbrachten, dies einzugestehen.

    Keiner von ihnen war bereit, jetzt noch sein Leben oder seine Gesundheit dafür zu riskieren. Später reifte bei vielen die Erkenntnis, dass ein solcher Krieg überhaupt von Anfang an ein schwerwiegender Fehler, richtiger noch ein massenmörderisches Verbrechen war, das sich nie mehr wiederholen dürfte. Ich denke, dass wir es ihnen und allen Opfern dieses Völkermordens schuldig sind, uns heute, nach nunmehr siebzig Jahren, nicht erneut in ein wie immer geartetes Kriegsabenteuer hineinziehen zu lassen.

    Dr. Günter Gumpel
    (Deserteur im Zweiten Weltkrieg / Die Rede wurde wegen einer Erkrankung von seinem Sohn vorgetragen.)

    Günter Knebel (Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz)
    * BV Opfer der NS Militärjustiz e.V.

    Verweigerte Erinnerung

    Vergessen oder immer noch geächtet ist eine Gruppe von Verfolgten des nationalsozialistischen Regimes, die Opfer der Wehrmachtsjustiz. Die meisten von ihnen waren Soldaten, die wegen des Deliktes „Fahnenflucht“ angeklagt und zu drakonischen Strafen — in der Regel zum Tod — verurteilt wurden. Keine andere Armee der Welt hat so gegen die eigene Truppe gewütet wie Hitlers Wehrmacht. Die US Army hat im ganzen Zweiten Weltkrieg einen einzigen Deserteur hingerichtet. Von Richtern der Wehrmacht sind mindestens 30.000 Todesurteile ausgesprochen worden. Gegen zwei Drittel der Verurteilten, 20.000 Mann, wurde der Richterspruch vollstreckt. Unter ihnen waren 15.000 Deserteure mit deutscher Nationalität. Opfer aus anderen Ländern waren Angehörige der Résistance oder polnische Patrioten, die Widerstand gegen die deutsche Besatzung geleistet hatten.

    Unrechtsbewusstsein oder nur Bedauern haben die Richter in Diensten der Wehrmacht nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs nicht geäußert. Der ehemalige Marinerichter Hans Filbinger ist als Prototyp des positivistischen Juristen in dieser Rolle in die Geschichte eingegangen. Sein Diktum „Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein“, mit dem er sich zu rechtfertigen suchte, als 1978 die politische Karriere wegen seiner Todesurteile zerbrach, wurde zur Metapher, die die Borniertheit der Täter grell illuminiert. Zur Verantwortung gezogen wurde kaum einer der Richter, die auf ihre Paragraphen pochten, nationalsozialistischer Ideologie folgten und von Emotionen wie Humanität nie angerührt waren. Die Opfer der Wehrmachtsjustiz blieben, auch nach Filbingers ruhmlosem Abgang, als Vaterlandsverräter, als Drückeberger, als Feiglinge verfemt und verachtet. Erst 2002 hat der Deutsche Bundestag die Urteile der gnadenlosen Wehrmachtsrichter pauschal aufgehoben.

    Aber damit sind diejenigen nicht rehabilitiert, die in den letzten Tagen des Krieges anonym und oft von unbekannten Tätern im Namen des Deutschen Reiches oder des Nationalsozialismus oder des Diktators Hitler oder des Vaterlandes in den letzten Aufwallungen eines blinden Fanatismus zu Tode gebracht wurden. Die Schnelligkeit des Gerichts (wenn man das so nennen darf) steht im umgekehrten Verhältnis zur Rechtsgültigkeit, mit der Jugendliche und erwachsene Männer, Greise gemordet wurden, weil sie Vernunft walten ließen, kriegsmüde waren, der Phrasen und des sinnlosen Gemetzels überdrüssig waren oder wie die 16- und 17-Jährigen, die zum Volkssturm rekrutiert waren, Angst hatten, die weiterleben wollten statt einen sinnlosen Heldentod zu sterben.

    Warum haben sich die Zuständigen so schwer getan, ein Erinnerungszeichen zu setzen, das sinnvoll und womöglich notwendiger ist als andere? Es geht um den unbekannten 17-Jährigen, den Soldaten in den letzten Apriltagen 1945 aus dem Keller eines Hauses in der Berliner Straße, zwischen Uhland- und Fechnerstraße, herausholten. Der Junge hatte sich dort versteckt, weil er im sinnlosen Schrecken der letzten Kriegstage sein Leben retten wollte. Er war ein Deserteur. Der oberste Befehlshaber Hitler, der sich im Bunker unter der Reichskanzlei verkrochen hatte und sich ein paar Tage später durch Selbstmord der Verantwortung für viele Millionen Tote entzog, hatte angeordnet, „Verräter“ augenblicklich zu erschießen oder zu erhängen. Dann beging der Diktator selbst Fahnenflucht und entzog sich irdischem Gericht.

    Fanatiker vollstreckten, wo sie nur konnten, den verbrecherischen Befehl. Auch an dem 17-Jährigen in Wilmersdorf. Dazu wurde im Haus Berliner Straße 133 eine Wäscheleine beschafft, mit der der junge Mann an Ort und Stelle aufgehängt wurde, mit einem Schild um den Hals „Ich war zu feige, für Deutschland zu kämpfen“. Das war den Mördern noch nicht genug der Barbarei: „Zur Abschreckung“ musste die Leiche tagelang hängen bleiben.

    Jahrelang gedachten die Anwohner am Jahrestag des sinnlosen Verbrechens und legten an der Stelle Blumen nieder. Dann schien die Tat vergessen. Zwanzig Jahre lang mühten sich Bürger dann um ein Zeichen der Erinnerung. Zwar hat der Deutsche Bundestag die Urteile der Standgerichte aufgehoben und damit alle, die den Dienst mit der Waffe für das nationalsozialistische Unrechtsregime verweigerten, rehabilitiert. Das Bundessozialgericht hatte schon davor festgestellt, dass die als „Deserteure“ oder „Fahnenflüchtige“ geschmähten Männer Widerstand geleistet hatten, weil sie sich dem NS-Regime verweigerten.

    Aber dem unbekannten 17-Jährigen in der Berliner Straße, von dem man nur weiß, dass er eine Jacke der Waffen-SS trug, blieb das Gedenken bis jetzt verweigert. Die Jacke, die keine Mitgliedschaft in der SS beweist, war für das Bezirksamt Wilmersdorf 1995 Ablehnungsgrund gewesen für eine Erinnerungstafel. Später lautete der Einwand, einen anonymen 17-Jährigen zu ehren, würde einen Präzedenzfall schaffen und ihn unangemessen hervorheben. Das Gegenteil ist richtig. Denn mit dem überfälligen Zeichen der Erinnerung werden jetzt viele geehrt, die vergessen sind, weil sie nicht prominent waren – wie Anne Frank oder die Geschwister Scholl. Die Gedenktafel erinnert nicht nur an einen Unbekannten, sondern an viele Opfer des NS-Regimes, die in gleicher Weise an vielen Orten gemordet wurden in der Götzendämmerung des „Dritten Reiches“. Wir schulden ihnen Respekt für ihre Weigerung, an weiterem Unrecht, Massenmord und sinnlosen Opfern mitzuwirken.

    Es war auch der 24. April 1945, heute vor 70 Jahren, über den der 16-jährige Hans-Rudolf Vilter berichtet. Er war im Januar 1945 zum Volkssturm eingezogen und dann zur Wehrmacht überstellt worden. Am 24. April wurde ihm befohlen, Berlin zu verlassen und sich Richtung Westen abzusetzen: Er berichtet „Es war ein Strom, der sich da aus Berlin ergoß, Frauen, Kinder, Verwundete, Kriegsgefangene, Fremdarbeiter, es war ein Bild des Grauens. Am Straßenrand stand ein Major, zwei Offiziere bei ihm und ein paar Feldgendarme, Leute, die man wirklich fürchtete damals, auch das ist ein Grund dafür, daß man damals nicht abgehauen ist. Wir haben die desertierten und gefaßten Soldaten, die man dann an Laternenpfählen und Bäumen aufhing, gesehen mit dem Schild: ’Ich hänge hier, weil ich zu feige bin, mein Vaterland zu verteidigen’.“

    Der Krieg, der im Herbst 1939 mit Terror gegen die Nachbarn Polen begann, sich durch Terror gegen die Menschen der Sowjetunion, gegen alle, die zu Feinden erklärt waren - Juden, Slawen, „Fremdrassige“, Unerwünschte - zum Weltkrieg ausweitete, dieser Krieg endete im Terror gegen Deutsche, die nicht sinnlos hingemordet werden wollten, als der Krieg längst verloren war. Wir schulden auch diesen Opfern des Nationalsozialismus die Ehre des Gedenkens.

    Wolfgang Benz